Guten Morgen,
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Donald Trump dreht der Ukraine den Hahn zu. In der Nacht hat er mitteilen lassen, dass die USA jegliche Militärhilfe bis auf Weiteres aussetzt. In einer knappen Erklärung aus dem Weißen Haus hieß es dazu, dass der US-Präsident auf Frieden fokussiert sei und die „Partner“ der USA diesem Ziel auch verpflichtet sein müssten. Details blieb die US-Regierung schuldig, aber sie erwartet offenbar vom ukrainischen Präsidenten, sich nach dem Eklat im Weißen Haus vom vergangenen Freitag öffentlich in den Staub zu werfen und danach Trumps Rings zu küssen. Vielleicht legt sie es auch auf den Rücktritt Wolodymyr Selenskijs an.
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Der russische Staatschef Wladimir Putin, der den verheerenden Krieg vor drei Jahren völlig unnötig vom Zaun gebrochen hat, darf einstweilen ungestört die ukrainischen Städte weiter bombardieren. In der Nacht fiel in Teilen der Hafenmetropole Odessa nach einem massiven russischen Drohnenangriff der Strom aus. Dazu äußerten sich Trump und seine Regierungsleute nicht. Sie schießen sich lieber auf das Opfer als auf den Täter ein. Die gegenwärtige Regierung der USA zieht es vor, den Angegriffenen die Waffen, mit denen sie sich verteidigen wollen, aus der Hand zu schlagen.
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Im Kreml erreicht die Partystimmung vermutlich ihren Höhepunkt. Trump ist für Putin der Mitarbeiter des Monats. Er wendet sich gegen die Verbündeten der USA, umschmeichelt den Autokraten in Moskau und erniedrigt Alliierte der Vereinigten Staaten. Der Kreml-Chef musste bisher kein einziges Zugeständnis machen, während die USA vorauseilend eine ukrainische Verhandlungsposition nach der anderen abräumten und jetzt auch noch die militärische Unterstützung einstellen. Statt die Ukraine vor Verhandlungen zu stärken, fällt ihr Trump in den Rücken. Die Russen indes, auf dem Schlachtfeld ohnehin zahlenmäßig im Vorteil, drücken an der Front mit aller Macht an, während sie Gesprächsbereitschaft bisher lediglich simulieren müssen. Der gesamte Druck lastet derzeit auf der Führung in Kiew. Der angeklagte Kriegsverbrecher in Moskau hat hingegen vom großen selbsternannten Dealmaker ein Freispiel erhalten, das ihn von Tag zu Tag einem Sieg in der Ukraine näher bringt. Er hätte im Moment gar kein Interesse, ernsthaft zu verhandeln. Putin will zunächst die Gebiete, die er bereits für annektiert erklärt hat, möglichst vollständig erobern und erst dann einen Diktatfrieden zu seinen Bedingungen schließen. Trump hilft ihm dabei.
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Die Ukraine steht mit dem Rücken zur Wand. Ohne US-Hilfe gehen ihr nach Einschätzung von Experten bis Sommer die Waffen aus. So schnell können die Europäer gar nicht einspringen, selbst wenn sie wollten. Ihre Arsenale sind leer, und die Rüstungsproduktion lahmt. Die europäischen Staaten haben es verabsäumt, den Produzenten die nötigen Abnahmegarantien zu geben. Die Ukrainer haben es zwar geschafft, in den vergangenen drei Jahren ein System hochzuziehen, bei dem sie mehr als die Hälfte ihrer Rüstungsgüter und Ersatzteile selbst herstellen, vor allem im Drohnenbereich. Von den Europäern kommt ungefähr ein Viertel, von den Amerikanern ebenso. Insgesamt haben die Europäer seit dem russischen Überfall auf die Ukraine Berechnungen des Kieler Instituts zufolge 138 Milliarden Dollar an militärischer und humanitärer Hilfe geleistet, um 18 Milliarden Dollar mehr als die USA. Doch die Amerikaner liefern hochwertigere Ware: die Kurzstreckenraketen ATACMS etwa oder die Mehrfachraketenwerfer HIMARS, zudem Luftabwehrraketen und überlebenswichtige Aufklärung.
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Ohne die USA kann die Ukraine vermutlich nicht lang durchhalten. Trump hat sie im Würgegriff. Und deshalb wird Selenskij nichts anderes übriges bleiben, als zu Kreuze zu kriechen oder zurückzutreten. Wahrscheinlich wäre er bereit, sich einen Rücktritt gegen US-Sicherheitsgarantien abzukaufen. Er hat das einmal sogar öffentlich gesagt. Die Ukrainer trauen Russland nach den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verständlicherweise nicht über den Weg. Sie befürchten, dass Putin nach einer Waffenruhe bald wieder angreifen könnte, wenn die Ukraine nicht unter einem abschreckenden Schutzschirm glaubwürdiger Militärmächte steht. Doch Trumps Regierung sträubt sich bisher dagegen, der Ukraine irgendwelche Sicherheitsgarantien zu gewähren. US-Vizepräsident J.D. Vance wiederholte neulich, dass ein geplantes Rohstoffabkommen der USA mit der Ukraine Schutz genug sei. Die Amerikaner wollen sich ukrainische Ressourcen im Wert von Milliarden sichern. Ein entsprechender Vertrag ist aufgesetzt. Selenskij hätte ihn am vergangenen Freitag unterschreiben sollen. Doch dann kam es im Oval Office zum öffentlichen Schlagabtausch mit Trump vor laufenden Kameras, und Selenskij flog aus dem Weißen Haus – und danach zu einem Gipfeltreffen mit ausgewählten europäischen Regierungschefs, dem Nato-Generalsekretär, der EU-Kommissionspräsidenten sowie dem kanadischen Premier London weiter.
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Das Kommando in Europa haben in guter alter Manier Frankreich und Großbritannien übernommen. Deutschland ist bis zur Bildung einer neuen Regierung im Trockendock. Der europäische Friedensplan bleibt noch recht vage. Von einer einmonatigen Waffenruhe ist die Rede, in der Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland beginnen sollen. Mehrere Staaten haben zudem Bereitschaft signalisiert, Friedenstruppen in die Ukraine zu schicken. Doch daran hat Russland kein Interesse. Das hat Außenminister Sergej Lawrow sehr deutlich gesagt, auch wenn Trump zwischendurch behauptet hatte, die Russen hätten nichts gegen europäische Schutzeinheiten einzuwenden. Erklärtes Ziel der Europäer ist es auch, die USA mit Sicherheitsgarantien an Bord zu holen und die ukrainisch-amerikanischen Beziehungen schleunigst wieder irgendwie zu reparieren.
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Doch Trump spielt nicht mit. Es wird immer klarer, dass er die USA aus alten Bindungen herauslösen will. Die Ukraine interessiert ihn bis auf die Rohstoffe nicht und Europa in Wirklichkeit auch nicht. Deshalb ist es tatsächlich nicht ausgeschlossen, dass die Vereinigten Staaten aus der Nato austreten, die 1949 gegründet worden war, um die damalige Sowjetunion einzudämmen. Es wäre das Ende der transatlantischen Allianz. Europa muss für dieses Szenario, auch wenn es auf der Wahrscheinlichkeitsskala nach wie vor nicht sehr hoch rangiert, zumindest gewappnet sein. Klug wäre es, die europäische Säule innerhalb der Säule zu stärken und Trump noch ein paar Jahre bei Laune zu halten. Denn ohne Nato stünde Europa ziemlich nackt da.
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In den USA schlägt die Stunde der Isolationisten. Seit Barack Obama fokussieren die USA ihre Aufmerksamkeit zusehends auf den Pazifik. Der Hauptkonkurrent ist China. Die Amerikaner haben schlicht und einfach nicht mehr die Ressourcen und auch nicht den Willen, Weltpolizist auf allen Kontinenten zu spielen. Unter Trump beschleunigt sich diese Entwicklung nun ziemlich radikal. In seinem Weltbild spielen Allianzen gar keine Rolle mehr. Er behandelt Verbündete schlechter als die Feinde Amerikas. In der Nacht knallte er Kanada und Mexiko 25 Prozent Zölle vor den Latz, als nächstes wird Europa dran sein. Das spült vielleicht kurzfristig Geld in die Kassen oder dient als Hebel für veränderte Handelsbedingungen, wird aber den USA auf Dauer selbst mehr schaden als nützen. Sich mit einem wichtigen Partner in einen Handelskrieg zu stürzen, ergibt einfach keinen Sinn. Beide Seiten verlieren dabei.
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In Russland hingegen ist für Trump und die USA wirtschaftlich nicht viel zu holen. Ökonomisch ist Russland ein Zwerg mit einem BIP der Größe Spaniens. Manche glauben, dass Trumps Annäherung an Putin geopolitische Gründe hat. Ziel sei es demnach, Russland aus dem Bündnis mit China herauszubrechen, so wie Richard Nixon die Volksrepublik 1974 mit seinem Besuch in Peking aus der Allianz mit der Sowjetunion geholt hat. Die Übung wird deshalb „Reverse Nixon“, „umgekehrter Nixon“ genannt. Da ist möglicherweise etwas dran. Trump ist gewiss nicht nur von Idioten umgeben. Doch Putin wird seine strategische Partnerschaft mit China kaum aufgeben. Er wird wahrscheinlich beides wollen: gute Beziehungen mit Peking und ein tragfähiges Arrangement mit Washington. Sein neoimperiales Ziel ist es, Russland wieder groß zu machen und Achtung zu verschaffen. Er will sich mit Trump und Xi Jinping die Welt aufteilen – und die EU nach Möglichkeit zu zerstören. Für alle Drei ist nur ein gespaltenes und schwaches Europa ein gutes Europa. Traurig dabei ist: Sie finden für dieses Projekt auch innerhalb der EU willfährige Helfer. Ihre fünfte Kolonne sind die Rechtspopulisten.
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Irritierend bei Trumps klirrend kaltem und völlig amoralischem außenpolitischen Ansatz ist, dass er sich dabei wie im Fall von Selenskij offenbar völlig ungebremst von persönlichen Befindlichkeiten leiten lässt. Das steht ebenso wie die total kursichtige Ausrichtung auf schnelle transaktionale Vorteile total im Widerspruch zur radikal realpolitischen Grundierung der neuen US-Außenpolitik. Was für eine Realpolitik soll das sein, die sich von Animositäten und Befindlichkeiten leiten lässt?
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Die Trumpisten wollen die alte Welt zerstören. Weniger klar ist, wie die neue Welt aussehen soll, wenn sie fertig ist. Am Dienstag hat der US-Präsident in einer Rede vor dem Kongress Gelegenheit, seine Pläne darzulegen.
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Die neue österreichische Dreierkoalition stürzt sich kopfüber in eine Welt im Umbruch. Am Donnerstag wird der neue VP-Kanzler, Christian Stocker, beim EU-Gipfel debütieren. Ihm zur Seite wird, was man so hört, als Sherpa Clemens Mayr-Harting stehen, der frühere Kabinettschef von Ex-Europaministerin Karoline Edtstadler, der inzwischen zum Sektionschef im Bundeskanzleramt aufgestiegen ist. Die neue Neos-Außenministerin, Beate Meinl-Reisinger, stellt gerade ihr Team zusammen. Bei der Führung ihres Kabinetts setzt sie angeblich auf eine Person aus dem Außenamt und nicht aus ihrem Parteiumfeld. Stellvertretende Kabinettschefin soll ihre bisherige Büroleiterin, Hannah de Goederen, sein. Als Generalsekretär bleibt Nikolaus Marschik im Amt, den Alexander Schallenberg eingesetzt hatte. Meinl-Reisinger setzt zunächst auf Kontinuität. Das ist schlau. Sie wird noch genug Neuland betreten in diesen turbulenten geopolitischen Zeiten.
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Haben Sie eine schöne Woche
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Ihr Christian Ultsch
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