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26.04.2024

Wie war Ihre Fortnight so? Ein englisches Wort, für das es keine deutsche Entsprechung gibt, die vergangenen zwei Wochen. Und nein, ich bin nicht unter die Gamer gegangen, das verstehen Sie jetzt auch nur, wenn Sie Teenager-Kinder haben oder hatten, die diesem gleichnamigen Spiel verfallen sind. Ich habe nur gelesen, was meine Kolleginnen so geschrieben haben über Taylor Swift, diesen mir völlig unverständlichen, weil völlig durchschnittlichem größten Popstar unserer Zeit von Aussehen und Musik her.

Jedenfalls hat sie ein neues Album herausgegeben, mit dem immerhin herzigen Titel „The tortured poets department“, der einzige Grund, warum ich überhaupt gerade hineingehört habe. Vollkommen uninteressant, aber ich bin ja auch nicht Popkritikerin, nur mittelalterliche Konsumentin. Immerhin lernte ich, die Fans googeln jetzt Wörter wie „Fortnight“. Und wohl auch Dylan Thomas, von dem sich ein gewisser Bob den Vornamen als Nachnamen klaute. „You’re not Dylan Thomas. I’m not Patti Smith. This ain’t the Chelsea Hotel. We’re modern idiots“, singt sie da, „And who‘s gonna hold you like me?“ Nobody, natürlich. Anrufung der Ahnen. Die haben sich entweder zu Tode gesoffen oder essen nur noch Karottensalat, eine überschaubare Spanne. „Fortnight“ heißt ein anderer Song.

Die letzten zwei Wochen waren jedenfalls hart. Ich habe Venedig überlebt, die Biennale-Eröffnung. Und wenn Sie mich jetzt auch noch fragen, wie es war, dann stürze ich mich von der Seufzerbrücke, wie es schon Gelitin einmal fototauglich taten. A bigger splash (das ist ein angeberisches David-Hockney-Zitat). Weil Sie es sind: Es war okay. Harmlos. Bunt, indigen, sehr politisch korrekt. Und wie immer gab es ein paar Show-Stopper, ein paar Arbeiten, in die man überraschend versinken konnte oder die einen bei der gemeinen sentimentalen Wurzel packten.

Bleiben wir bei den Österreichern: Leopold Strobl, den keiner kennt hier, ein Gugginger Lebender, hat die wohl kleinsten Arbeiten der ganzen Biennale beigesteuert, gerade einmal handtellergroße Überzeichnungen von Zeitungsfotos, die aber dermaßen stark sind. Bei denen er die Menschen wie mit Netzen aus Buntstiftstrichen einfängt und in romantische Landschaften setzt, großartig. Und Susanne Wengers riesige Batik-Tücher, diese in den Fünfzigerjahren schon nach Nigeria ausgewanderte Künstlerin, die dort zur Priesterin der Yoruba wurde und deren Heiligen Hain in einen Unesco-geschützten Skulpturengarten verwandelte. Falls Sie einmal hinfahren, schicken Sie mir Fotos. Der einzige Grund für mich, einmal dorthin zu fahren, es muss umwerfend sein. Ihre Biografie und ihre Kunst trifft gerade haargenau den Zeitgeist. Jahrzehntelang hat sich der Künstler und Gründer der Kunsthalle Krems, Wolfgang Denk, um ihre Anerkennung und ihr Erbe in Österreich bemüht, 2023 ist er gestorben, ich habe sehr an ihn gedacht, als ich Wengers große Tücher da im Arsenale Venedig so prominent hängen sah.

So ist die Kunstgeschichte, eine Schlampe. Sorry. Das konnte ich mir auch am Mittwochabend nicht verkneifen, als nach gefühlten drei Minuten die spektakulärste Auktion, die Österreich je sehen wird, auch schon wieder vorüber war. Wir haben uns Bietergefechte am Telefon und im Saal erwartet, die um Klimts „Fräulein Lieser“ buhlen, und dann das. Gerade einmal zum untersten Schätzwert wurde eines der schönsten späten Klimt-Porträts verscherbelt. Die Enttäuschung war auch den Protagonisten des Auktionshauses „Im Kinsky“ ins Gesicht geschrieben, muss echt nicht leicht sein, nach so einem Debakel guter Miene Dutzende Interviews zu geben. Sie haben sich das wirklich nicht verdient, sie haben mit der Versteigerung einen Coup gelandet, den ihnen viele übel genommen haben, die Klimt-Experten, die nicht gefragt worden waren, die Israelische Kultusgemeinde, die sonst derlei Restitutions-Geschäfte nicht ohne geschäftliche Hintergedanken vorantreibt und abwickelt. „Im Kinsky“ hat das alles selbst in die Hand genommen, sehr Wienerisch, ein bisschen unbeholfen, aber das ist nun einmal nicht die geschniegelte Tobias-Meyer-Sotheby’s-Christie’s-Attitüde gewesen, sondern der Charme eines kleinen Wiener Auktionshauses, die sich erst beim Käufer irrten, dann bei den Euro-Dollar-Umrechnungen.

Als würde man den Käufer „in Ottakring suchen“, ätzte Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder auf Ö1, ich finde, ein solcher hätte Österreich gut angestanden, 30 Millionen waren ein Schnäppchen. „Fräulein Lieser“ aber macht sich des ungeachtet auf in die weite Welt, Hongkong, munkelt man, die siegreiche Bieterin Patti Wong kennend, wird schon stimmen. Wenn das Belvedere sich brav anstellt, und das tut es bei derlei Leihgaben, das sah man in den vergangenen Jahren, darf das „Fräulein Lieser“ noch ein paar Monate Palais-Luft schnuppern wieder. Sie hat es mehr als verdient.

Wir sollten wissen, was wir hier ziehen gelassen haben, ohne einen kleinsten Finger von staatlicher Seite gerührt zu haben: Ein Denkmal der österreichischen Staatswissenschaften und der Frauenbildung. Die höchstwahrscheinlich hier dargestellte ist schließlich die junge Helene Lieser, dann Berger, die erste Person, nicht nur die erste Frau, wie man oft liest, die in Österreich 1920 dieses damals neue Studium abschloss. Helene Berger gehörte zur renommierten Österreichischen Schule der Ökonomie, so einen sanften Blick hätte man ihr nie zugetraut. Aber, um noch ein wenig bei Taylor Swift Anleihe zu nehmen, „Du bist nicht Ronald Lauder, ich bin nicht Patti Wong. Das ist nicht der Louvre Abu Dhabi. Wir sind Wiener-Moderne-Idioten.“ Eine ertragreiche nächste Fortnight, wünscht Ihnen,

Ihre Almuth Spiegler
almuth.spiegler@diepresse.com

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