Guten Morgen!
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Die Neos erfüllen das wesentliche Kriterium einer anständigen bürgerlichen Partei: Einer hält sich für gescheiter als der andere. Es gibt dort also derzeit keine Fraktionskämpfe. Sondern es gibt Solitäre, die mit ihren Einzelmeinungen das große Ganze in Wanken bringen. Oder die Parteichefin zur Weißglut treiben. Für diese gelten die beiden Einstiegssätze freilich auch.
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Die Lage ist jedenfalls so: Vize-Klubchef Nikolaus Scherak stellt sich gegen den Regierungsbeschluss zur Messenger-Überwachung. Er pflegt damit seinen Markenkern. Und geht davon aus, dass er damit auch den liberalen Markenkern der Neos pflegt. Stephanie Krisper, sonst eher nicht zur selben Neigungsgruppe zählend wie Scherak, springt ihm hier bei. Auch andere Neos haben Bedenken, wollten diese aber nicht so laut äußern.
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Dafür machte ein weiterer Solitär, Neos-Mitbegründer Veit Dengler, seinem Ärger Luft. Ob sich das nur auf den speziellen Fall der Social-Media-Politiker-Account-Befüllung durch Mitarbeiter bezog oder ganz generell auf die gegenwärtige Politik der Neos, ist (noch) nicht ganz klar. Jedenfalls sprach Dengler in der „Kleinen Zeitung“ von einem „Sündenfall gleich in mehrerer Hinsicht“. Die Parteiführung um Beate Meinl-Reisinger und Klubchef Yannick Shetty, der den Laden zusammenzuhalten versucht, war jedenfalls mehr als verärgert.
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Ein Solitär ganz für sich allein dürfte mittlerweile Staatssekretär Sepp Schellhorn sein. Zum innersten Zirkel der Parteiführung hat er nie gehört, nun scheint er ganz am Rande zu stehen. Schellhorn war zuletzt mehrfach am medialen Pranger gestanden. Bei den Neos sieht man das ambivalent: Es sei einerseits schon eine Kampagne des Boulevard, andererseits sei er aber schon auch selbst schuld. Dass Schellhorn die volle Regierungsperiode durchdienen könnte, davon geht man auch bei den Neos nicht zwingend aus.
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Jedenfalls – Überraschung! – nicht die SPÖ mit ihren tatsächlichen Flügelkämpfen und auch nicht die ÖVP mit ihren schlechten Post-Kurz-Umfragewerten kommt durch die Regierungsbeteiligung in Bedrängnis, sondern die Neos. Den Juniorjuniorpartner, den eigentlich gar keiner gebraucht hätte. Bei den Neos waren auch nicht alle begeistert von einer Regierungsbeteiligung, aus Parteiräson haben bei der Mitgliederbefragung die meisten dennoch dafür gestimmt. Nun ist ein wenig der Wurm drinnen. Auch zunehmende Kommunikationsprobleme zwischen Regierungsenthusiasten und -skeptikern werden beklagt.
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Aber wenn die Neos regieren wollen, bleibt ihnen ohnehin nur die Option: Augen zu und durch. Und man lässt einzelnen Abgeordneten eben die Freiheit, den Markenkern, die Ideologie, die reine Lehre zu pflegen. So hat das die FDP an sich lange Zeit auch gemacht, es ging auch lange gut – aber eben auch nicht ewig.
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Maßgeblich beteiligt waren die Neos auch am Entwurf für die neue Bundesstaatsanwaltschaft. Diese sieht als Weisungsspitze einen Dreier-Senat anstatt des Justizministers wie bisher vor. Klingt vernünftig. Schreiben auch alle. Wir auch. Allerdings gibt es auch hier namhafte Gegenstimmen. Niemand Geringerer als OGH-Präsident Georg Kodek hält diese Reform nämlich für unnötig: „Wir geben viel Geld aus für ein Scheinproblem“. Für die wenigen schlagzeilenträchtigen Fälle würden sich auch andere Möglichkeiten finden. Also wieder einmal ein Fall von „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut“? Man wird sehen. Die Regierung hält an ihren Plänen jedenfalls unbeirrt fest.
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Allseits bejubelt wurde seinerzeit auch, dass der U-Ausschuss zum Minderheitsrecht wurde. Auch das hat freilich eine Kehrseite: inflationäre Anwendung und Missbrauch als oppositionspolitisches Instrument. Die FPÖ vermengte zu diesem Zwecke nun die Causa Pilnacek mit der Corona-Politik. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Gute Frage. Die Koalitionsparteien werden das freiheitliche Verlangen heute im Geschäftsordnungsausschuss jedenfalls „bestreiten“. Der FPÖ bleibt der Weg zum VfGH.
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Compliance-Hinweis: Nikolaus Scherak ist der Cousin des Autors dieser Zeilen. Auch wir sind – von Fußball bis Politik – nicht immer einer Meinung.
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Slawa Ukrajini!
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Oliver Pink
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